• Pflege und Erbe

    Wenn du nicht unterschreibst, musst du ins Heim.

    Erbschaft im Pflegefall

Nach dem Tod der Mutter setzt der Bruder von Harald G. den pflegebedürftigen Vater unter Druck, um an sein Erbe zu kommen. Die Geschichte ist kein Einzelfall: Bei jeder fünften Erbschaft gibt es Streit.
Harald G. hatte stets ein enges Verhältnis zu seiner Familie: Den Bruder, der nach einem Suizidversuch drei Jahre im Wachkoma lag, hat er bis zu seinem Tod intensiv gepflegt. Und auch um die Eltern hat er sich immer gekümmert, besonders nach dem Tod des Bruders. Sein anderer Bruder dagegen war immer so was wie das schwarze Schaf der Familie. So sagt er. Den Kontakt zu den Eltern hatte dieser schon vor langer Zeit abgebrochen.

„Wenn du nicht unterschreibst, musst du ins Heim.“

Bis eines Tages auch der Vater pflegebedürftig wird. Nun zeigt der Bruder ein ganz neues Gesicht. Berichtet Harald G. Kümmert sich plötzlich intensiv um die Eltern – zum Erstaunen aber auch zur Freude von Harald G. Zunächst. Denn nach zwei Jahren wendet sich das Blatt erneut. Als die Mutter stirbt, wird bekannt, dass die Eltern ein Testament zu Ungunsten des Bruders gemacht haben. Schon vor 20 Jahren haben sie ihn quasi enterbt. Als der Bruder davon erfährt, beginnt er, massiv Druck auf den Vater auszuüben, drängt ihn dazu, ein neues Testament und diverse Vollmachten zu unterschreiben. Macht er es nicht, will er ihn ins Heim stecken. Die Drohung wirkt und der Vater unterschreibt.
Für Harald G. beginnt nun eine schwere Krise. Da er in Wien wohnt, kann er den Vater auf dem Land nur alle paar Wochen besuchen. Ansonsten telefoniert er mit ihm. Der Bruder, der im gleichen Ort wohnt, hat inzwischen sämtliche Vollmachten – auch für das Bankkonto des Vaters, von dem er diesem nur wenig "Taschengeld" auszahlt. Die Pflegerinnen, die der Bruder beschäftigt, haben in einem halben Jahr sechs Mal gewechselt. „Er findet einen Grund, sie zu entlassen, sobald sie eine Bindung zu meinem Vater aufbauen“, so G. Eine hat er des Diebstahls bezichtigt. Und auch G. selbst wird von ihm beschimpft, verleumdet und bedroht, sogar mit Mord. "Das Ganze macht mich körperlich und psychisch kaputt“, sagt der 53-Jährige, der selbst gesundheitliche Probleme hat und seinen Lebensgefährten pflegt.

Um das Geld geht es gar nicht

Ums Erben ginge es ihm bei der ganzen Geschichte am wenigsten. „Das Geld ist mir völlig egal.“ Aber dass der Vater offensichtlich unter der Situation leidet und er nicht dagegen einschreiten kann, empfindet er als unerträglich. Schon vor drei Monaten hat er deshalb bei Gericht ein sogenanntes Verfahren zum Erwachsenenschutz angeregt. In Österreich ist das Dank eines neuen Gesetzes möglich. Doch die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Bis jetzt ist nichts geschehen.

Streit nach Möglichkeit vorbeugen

Dass Familien sich wegen des Erbes in die Wolle kriegen, ist keineswegs ein Einzelfall. Bei jedem fünften Erbe gibt es Streit, sagt eine Studie des Allensbacher Instituts für Demoskopie. Wie die Geschichte von Harald G. zeigt, kann zwar auch ein Testament nicht immer verhindern, dass es Streit gibt. „Sich frühzeitig mit dem Thema Erbschaft zu befassen, ist aber sehr wichtig, um einem Zwist vorzubeugen“, weiß Jan Bittler, Anwalt für Erbrecht.

Erbrecht: Besonderheiten bei Pflege

Wenn die potenziellen Erblasser pflegebedürftig sind, gibt es rund ums Erbe außerdem einige Besonderheiten zu beachten. Zum Beispiel kann, wer seine Eltern oder Großeltern gepflegt hat, dafür beim Erbe einen Obolus bekommen, den sogenannten Erbausgleich für Pflegeleistungen. Da diese Regelung immer wieder zu Unklarheiten und Streitigkeiten führt, rät Bittler aber dazu, besser andere Vorkehrungen zu treffen – zum Beispiel in Form eines Pflegevertrags oder in einem Testament.
Doch was tut das Gesetz, um zu verhindern, dass pflegebedürftige Menschen – wie im Fall von Harald G.'s Vater – im Hinblick auf das Erbe unter Druck gesetzt werden? Zum einen ist es nur unter bestimmten Umständen möglich, Pflegerinnen und Pfleger als Erben einzusetzen. „Damit will der Gesetzgeber verhindern, dass die Abhängigkeit der pflegebedürftigen Person ausgenutzt wird“, so Jan Bittler. Möchte ein Bewohner die Mitarbeiter einer stationären Pflegeeinrichtung oder auch die Einrichtung selbst testamentarisch berücksichtigen, geht das nur im Rahmen eines sogenannten "stillen Testaments". Die Erbschaft ist nur dann rechtens, wenn der Begünstigte erst nach dem Tod von dem Testament erfahren hat. Anders verhält es sich im ambulanten Bereich. Hier können Pfleger grundsätzlich etwas erben.

Was tun bei Missbrauch einer Vorsorgevollmacht?

Wenn man – so wie Harald G. – den Verdacht hat, dass jemand seine Vorsorgevollmacht missbraucht, hat man in Deutschland die Möglichkeit, eine Kontrollbetreuung anzuregen. „Kann man dem Gericht ausreichend Anhaltspunkte dafür geben, dass der Bevollmächtigte nicht im Interesse des Vollmachtgebers handelt, wird das Gericht einschreiten und einen Kontrollbetreuer bestimmen. Ein Recht auf Einschreiten des Gerichts hat man aber nicht. Man kann es nur anregen. Aber man sollte es auch tun“, erläutert Jan Bittler.

Was tun bei Zweifel an der Testierfähigkeit?

Ein anderes Thema ist die Frage nach der Testierfähigkeit. Bestehen konkrete Zweifel daran, dass der Erblasser beim Erstellen des Testaments testierfähig war, kann das Nachlassgericht zur Überprüfung einen Sachverständigen bestimmen – in der Regel ist das ein auf diesem Gebiet erfahrener Neurologe oder Psychiater. „In den meisten Fällen ist der Erblasser schon verstorben, was es sehr schwierig macht, die Sachlage zu beurteilen“, sagt Jan Bittler. „Die Diagnose Demenz begründet noch lange keine Testier- oder Geschäftsunfähigkeit, schon gar nicht im Anfangsstadium“, so der Rechtsanwalt. Demenzkranke könnten, auch wenn das wissenschaftlich umstritten ist, zwischendurch lichte Momente haben. Da im Zweifel für die Testierfähigkeit entschieden wird, gelingt es deshalb in den wenigsten Fällen, ein Testament auf diesem Weg anzufechten. Auch ein Feststellen der Testierunfähigkeit zu Lebzeiten ist nur sehr schwer möglich.
Auch die Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht kann man überprüfen lassen, wenn man Zweifel an der Geschäftsfähigkeit zum Zeitpunkt der Ausstellung hat. In diesem Fall muss man über das Betreuungsgericht gehen. „Auch hier wird dann in der Regel ein Sachverständiger bestimmt, der sich vor Ort ein Bild macht und ein Gutachten erstellt“, so Bittler.

Geschäfts- und Testierunfähigkeit

In Zusammenhang mit Verträgen und Vollmachten spricht man von Geschäftsunfähigkeit. Die Testierfähigkeit ist eine Sonderform der Geschäftsfähigkeit und bezieht sich auf den letzten Willen. Die Geschäfts- oder Testierfähigkeit kann eingeschränkt sein, wenn eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorliegt, die die freie Willensbestimmung ausschließt. Das kann z. B. bei geistiger Behinderung, Demenz oder einer anderen psychiatrischen Erkrankung der Fall sein.

Rat und Hilfe für pflegende Angehörige

Als langjähriger pflegender Angehöriger ist Harald G. sehr gut vernetzt und hat sogar einen Verein mitgegründet: die Interessengemeinschaft Pflegender Angehöriger e. V. Seine Erfahrung: Rund ums Erbe gibt es bei pflegenden Angehörigen sehr oft Streit. Darüber reden wollen aber nur die wenigsten. Er rät allen Betroffenen, sich Hilfe und Rat zu suchen – in Österreich zum Beispiel über die Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger oder in Deutschland über die Interessengemeinschaft „wir pflegen“, die ebenfalls rund um Pflege durch Angehörige berät.
Der Fall von Harald G. sei ein besonders harter, sagt Erbrechtsexperte Jan Bittler. Wie das Gericht in seinem Fall entscheiden wird, bleibt abzuwarten. Aber noch besteht Hoffnung, dass Harald G. über das Erwachsenenschutzgesetz etwas erreichen und seinem Vater letztendlich doch noch einen Lebensabend in Ruhe und Frieden ermöglichen kann.

Weitere Infos für pflegende Angehörige:

wir pflegen – Interessenvertretung begleitender Angehöriger und Freunde in Deutschland e.V.
wir-pflegen.net
Telefon: 030 4597 5750
E-Mail: info@wir-pflegen.net
Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger (Österreich)
Telefon: +43 (1) 58 900-328
E-Mail: office@ig-pflege.at

Erbausgleich für Pflegeleistungen: Die wichtigsten Fakten

Der Erbausgleich für Pflegeleistungen sorgt dafür, dass Angehörige für die Pflege beim Erbe einen Ausgleich bekommen können. Das steht in § 2057a BGB.
Wer hat Anspruch auf Erbausgleich für Pflegeleistungen?
Grundsätzlich nur Kinder und Enkel. Bei Ehepartnern greift das Gesetz nicht. „Das ist nicht optimal gelöst und führt manchmal zu Enttäuschungen, wenn die Leute das nicht wissen“, sagt der Erbrechtsanwalt Jan Bittler. Wer also von seinem Ehegatten gepflegt werden möchte und ihm dafür etwas Besonderes zukommen lassen will, muss das anders regeln – zum Beispiel durch ein Testament oder einen Pflegevertrag. Gleiches gilt für Schwiegerkinder, Eltern und andere Verwandte, die genau wie Nachbarn und Freunde keinen gesetzlichen Anspruch auf einen Erbausgleich haben.
Pflegeleistungen: Was fällt darunter?
Ein weiteres Problem beim Erbausgleich: Wie viel Pflege erbracht worden sein muss, damit es einen Anspruch gibt, regelt das Gesetz nicht genau. Wenn zum Beispiel insgesamt nur einen Monat, dafür aber sehr intensiv gepflegt wurde, kann das durchaus beim Erbe berücksichtigt werden. „Ab und zu mal vorbeikommen und die Probleme anhören oder mit zum Arzt gehen reicht aber definitiv nicht“, so Bittler.
Kein Anspruch, wenn bereits etwas bezahlt wurde
Wer bereits zu Lebzeiten angemessen entschädigt wurde, hat keinen Anspruch mehr auf einen Erbausgleich. Theoretisch kann man zwar auch einen Anspruch haben, wenn z. B. Pflegegeld gezahlt wurde und die Leistungen deutlich darüber hinausgingen. „Das sind aber strittige Fälle, die man vermeiden sollte“, warnt Jan Bittler.
Kein Verzicht auf Einkommen notwendig
Dass für die Pflege auf Einkommen verzichtet wird, ist dagegen nicht mehr Voraussetzung für einen Erbausgleich. Hier hat der Gesetzgeber im Jahr 2010 nachgebessert zugunsten pflegender Angehöriger, die nicht oder nicht mehr berufstätig sind.
Pflegeleistungen nachweisen
Auch wenn Kinder sich sehr intensiv und vielleicht sogar rund um die Uhr um die Eltern gekümmert haben, gibt es immer wieder Streit – zum Beispiel weil die Geschwister anzweifeln, dass tatsächlich so viel geleistet wurde, wie behauptet wird. „Dann stehen die Betroffenen vor dem Problem, dass sie das im Nachhinein belegen müssen“, so der Anwalt.
Tipp: Pflegetagebuch führen
Er empfiehlt daher, ein Pflegetagebuch zu führen, in dem man dokumentiert, was man wann und mit welchem Zeitaufwand gemacht hat und auch, welche Ausgaben man hatte. „Das bloße Aufschreiben reicht aber nicht“, so Bittler. Man sollte auch jemanden haben, der die Leistungen bezeugen kann oder, besser noch, sie sich vom Pflegebedürftigen abzeichnen lassen.
Wie hoch sind die Ansprüche?
Ein weiteres Problem ist die Frage, wie viel die Pflegeleistungen überhaupt wert sind. Idealerweise werden sich die Erben einig, wie viel demjenigen zusteht, der die Pflege erbracht hat. Gelingt das nicht, entscheidet ein Gericht. „Auch zum Wert der Pflege gibt es ganz verschiedene Ansichten, und auch die Gerichte entscheiden extrem unterschiedlich“, so Bittlers Erfahrung.
Alternativen zum Erbausgleich
Weil all das ziemlich kompliziert ist und nicht selten zu Streit unter den Erbenden führt, rät Bittler seinen Mandanten, möglichst frühzeitig andere Vereinbarungen zu treffen. Am besten in Form eines Pflegevertrags, der regelt, dass der pflegende Angehörige zu Lebzeiten entlohnt wird. „Solange der einigermaßen nachvollziehbar ist und sich grob an den Pflegegraden orientiert, kommt man damit ziemlich sicher durch.“ Falls das nicht möglich ist – weil es zum Beispiel um ein bewohntes Haus als Erbe geht – sollte man ein Testament machen.