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Healing Architecture

Wenn die Umgebung heilend auf Körper und Seele wirkt

Stellen Sie sich ein Krankenhaus vor. Oder ein Pflegeheim. Was kommt Ihnen da als erstes in den Sinn? Weiße, monotone und dunkle Gänge vielleicht? Und abgenutztes Mobiliar? Gestresste Pfleger, die von Zimmer zu Zimmer hetzen? Ein Zimmer mit Blick auf einen Hinterhof? Oder vielleicht doch tageslichtdurchflutete Räume mit Panoramafenstern zum weitläufigen Park und Aufenthaltsräume mit Lounge-Charakter? Und nun: Wo würden Sie sich wohler fühlen? In der ersten oder in der zweiten Umgebung? Wahrscheinlich in der zweiten. Nur leider versprühen auch heutzutage noch die meisten Kranken- und Pflege-Einrichtungen eher den Charme von Finanzämtern als von Wellness-Hotels. Dabei hat eine Studie des Architekturprofessors Roger Ulrich bereits in den 1980er Jahren die Wirkung des räumlichen Umfelds auf den Heilungsprozess gezeigt. Schauten die Patienten nach einer Operation durch ihre Zimmerfenster auf einen Park mit Bäumen, benötigten sie deutlich weniger Schmerzmittel, litten seltener an Depressionen und konnten im Schnitt einen Tag früher nach Hause entlassen werden. Anders als bei Patienten, die einen Blick auf eine Betonmauer hatten.
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Was Healing Architecture auszeichnet und was dazu gehört

Diese Erkenntnis war der Wegbereiter des Konzepts „Healing Architecture“, also der „heilenden Architektur“ von Gesundheitsbauten und deren Einfluss auf das körperliche wie seelische Wohlbefinden der Patienten, aber auch der Angehörigen und des Personals. Das beinhaltet sowohl die Gestaltung der Wände und des Fußbodens als auch den Lichteinfall, die Akustik, die Raumanordnung und das Mobiliar, die Orientierungsmöglichkeiten sowie eben den Zugang zur Natur. In Deutschland ist die Architektin Christine Nickl-Weller eine Koryphäe auf dem Gebiet: Neben einem Architekturbüro für die Bereiche medizinische Einrichtungen, Kliniken und Forschungsinstitute in München leitet sie an der Technischen Universität Berlin seit 2009 den Forschungsschwerpunkt „Healing Architecture“. Doch erst seit wenigen Jahren gibt es auch in der Öffentlichkeit ein zunehmendes Interesse an den Wechselwirkungen zwischen Architektur und Gesundheit. „Wir stehen hier noch ganz am Anfang eines Prozesses des Bewusstwerdens“, sagt Nickl-Weller. „Aufgrund der Vergabeverfahren im deutschen Bauwesen ist der Architekt erst dann in die Planung eines Krankenhauses involviert, wenn wichtige Entscheidungen hinsichtlich Ausstattung, Raumangebot und Budgetierung bereits getroffen wurden. Das verbaut oftmals den Weg zu innovativen Lösungen.“ Vor allem in skandinavischen Ländern sei man da weiter, doch mit der Neugründung des European Network Architecture for Health (ENAH) hofft Nickl-Weller, „europaweite Forschung und Projekte auch hierzulande präsenter zu machen.“

Elemente der Healing Architecture aktuell vor allem nur für Privatpatienten

Doch das Problem liegt nicht allein am fehlenden Wissen um die Wirkung von Architektur und Umwelt auf die Patienten, erklärt Sylvia Leydecker. Sie ist Innenarchitektin und Autorin und auf Healthcare spezialisiert. Das deutsche Gesundheitssystem als solches verhindere ihrer Meinung nach eine allgemeine Verbesserung. Zwar würden immer mehr Kliniken die Erkenntnisse der Healing Architecture anwenden – allerdings gilt dies bislang fast ausschließlich für Privatpatienten. Aber es komme noch ein weiterer Aspekt hinzu: Die 2003 eingeführte Fallpauschale DRG (Diagnosis Related Groups, deutsch: diagnosebezogene Fallgruppen) sorgte dafür, dass Krankenhäuser für jeden Patienten mit seiner spezifischen Diagnose eine Summe X bekommt, mit der sie wirtschaften müssen. Das bedeutet vereinfacht gesagt: je früher ein Patient entlassen werden kann, desto weniger Geld kostet er das Krankenhaus. „Bis so etwas wie Healing Architecture medizinisch und somit wirtschaftlich greift, haben die Krankenhäuser ihre Patienten aufgrund der grundsätzlich verkürzten Verweildauer längst entlassen“, sagt Leydecker.  

Infobox: Was ist Healing Architecture?

Der Begriff „Healing Architecture“ ist noch relativ jung und bezieht sich auf das Konzept des „Healing Environment“, also auf den Einfluss der Umgebung auf den Heilungs- und Genesungsprozess der Patienten. Grundlage ist die 1984 veröffentlichte Studie des Architekturprofessors Roger Ulrich, nach der Patienten nach Operationen früher entlassen werden konnten und weniger Schmerzmittel benötigten, wenn ihr Zimmer zu einem Park mit Bäumen hin zeigt anstatt auf eine Betonmauer. Weitere Forschungen haben gezeigt, welche Faktoren sonst noch wichtig für das Wohlbefinden und den Stresspegel der Patienten, aber auch der Mitarbeiter sind. Dazu gehört eine gute Orientierung im Gebäude genauso dazu wie eine angenehme Beleuchtung und Durchlüftung. Aber auch Farben und Geräusche haben einen Einfluss. In Zahnarztpraxen kann beispielsweise eine entsprechende Umgebung Vertrauen und Kompetenz vermitteln und somit Patienten Ängste nehmen oder zumindest reduzieren. Und im Bereich der Seniorenpflege, Demenz und Geriatrie werden vorwiegend Pastelltöne eingesetzt, weil sie beruhigend wirken. Eine insgesamt reizarme Umgebung wie weiße Räume führe hingegen zu Stress und dauerhaft erhöhtem Blutdruck. Ziel der „Healing Architecture“ ist es, dass die Erkenntnisse der Neurowissenschaften bei den Planungen von Gesundheitsbauten berücksichtigt werden. Literaturtipps: „Das Patientenzimmer der Zukunft“ von Sylvia Leydecker, Birkhäuser Verlag, Deutsch, 59,95 Euro „Healing Architecture 2004–2017: Forschung und Lehre“ von Prof. Christine Nickl-Weller, Braun Publishing, Englisch, 39,90 Euro  

Das Arbeitsumfeld von Pflegepersonal verbessern heißt die Pflege verbessern

Aber ist Healing Architecture dann also doch bloß Kosmetik? Mitnichten! „Heute will niemand mehr diese gruseligen Krankenhäuser haben“, sagt Leydecker. Denn auch, wenn ein Patient aufgrund des kurzen Aufenthalts dadurch vielleicht nicht messbar schneller gesunder wird, so trägt ein angenehmes Umfeld zur besseren emotionalen Stimmung bei. Bei den Patienten genauso wie bei deren Angehörigen, die dann vielleicht häufiger und länger zu Besuch kommen und dadurch wiederum auch das Pflegepersonal entlasten. Die vielleicht viel größere Verbesserung betrifft tatsächlich das Pflegepersonal und die Ärzte selbst. Schließlich sind sie, im Gegensatz zu den Patienten, für mehrere Jahre jeden Tag in den Häusern.Das hat Leydecker selbst einmal als Nebeneffekt mitbekommen, als sie die Wartebereiche eines Klinikneubaus gestaltet hat. „Wir haben jede Station künstlerisch individuell aber insgesamt stimmig gestaltet, Natur und Typographie auf Tapete gedruckt. Das hatte eine enorme Auswirkung auf die Mitarbeiter, weil die sich mehr mit ihrer Arbeit und mit ihrer Station identifiziert und emotionale Ankerpunkte hatten. Daran haben wir ursprünglich gar nicht gedacht, weil wir in der Planung nur die Patienten im Blick hatten.“Leydecker plädiert deshalb dafür, die Aufenthaltsqualität in Krankenhäusern, aber auch in Büroräumen grundsätzlich zu überdenken. „Es sollte nicht nur um die Frage gehen, ob uns Räume gesund machen, sondern auch um die Frage, ob sie uns krank machen. Vielleicht hat ja auch das Pflegepersonal einen Burnout wegen der mangelnden Aufenthaltsqualität in den Kliniken und Pflegeheimen.“ Und es wäre doch mehr als wünschenswert, wenn in einigen Jahren bei dem Wort Krankenhaus niemand mehr sofort an weiße, monotone und dunkle Gänge, abgenutztes Mobiliar und einen Blick auf einen Hinterhof denken muss.
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